Feldmäßige Sturzversuche – Sturz in Stand, Fixpunktsicherung und Körpersicherung

Bei einem Sturzversuch kann man ein Gewicht stürzen lassen und misst an einem oder mehreren Punkten den Krafteintrag. Hierzu habe ich von LineGrip die LineScape 3i Kraftmesszelle genutzt. Ich hatte zuvor schon mal feldmäßige Sturzversuche im Eis mit einem 100kg Dummy mir Armen und Beinen gemacht. Hier waren verschiedenste Variablen mit dabei, die eine Auswertung der Zahlen nahezu unmöglich gemacht hat. Denn je mehr Variablen man hat, desto weniger vergleichbar werden die Zahlen. Daher habe ich bei diesem Aufbau versucht möglichst viele Variablen auszuschließen. Jedoch konnte ich es auch wieder nicht ganz verhindern. Da wäre dann eher ein ganz kontrollierter Aufbau in einer Kletterhalle oder an einem dafür gemachten Sturzturm eine Idee. Mir bist bewusst, dass ein paar feldmäßige Stürze keine finale Beurteilung eines Systems erlauben. Dennoch habe ich ein paar Daten zum Krafteintrag auf den Standplatz bei Sturz in den Standplatz mit und ohne Schlappseil sowie Krafteintrag auf die Zwischesicherung/Dummy-Exe bei Vorstiegsturz mit Fixpunktsicherung und Körpersicherung

Der Aufbau und die Variablen

Ein gebohrter Stand an einer Felskante mit Überhang wäre was feines, konnte ich jedoch leider nicht organisieren. Daher musste ein Baum im Wald herhalten, der sich seitlich lehnt und einen nahezu horizontalen Ast hat (Erlaubnis vom Eigentümer ist natürlich vorhanden). Da der Baum aber nicht ganz so statisch wie ein Felsen ist, wird er vermutlich ein kleines Bisschen vom Sturz abfedern. Als Umlenker habe ich mit Edelrid Rap Line II an dem horizontalen Ast zwei Punkte zu einem Standplatz verbunden und nach unten verlängert. Die geringe Dehnung von der Rap Line und die Knoten sind ebenfalls eine Variable. Als Gewicht habe ich zwei 100kg schwere Buchenholzstämme zurechtgelegt, die schon teils etwas morsch waren. An diesen habe ich eine Kerbe gesägt und dort auch mit einer Rap Line und einem Schraubglied eine „Anseilschlaufe“ geschaffen, durch die ich das Kletterseil gefädelt habe. Um das Gewicht anzuheben habe ich das Teufelberger Resc Tech 8mm Seil mit einer improvisierten Abwurfeinrichtung aus Schraubgliedern und einem Fifi Cook versehen, oben im Baum mit einer Umlenkrolle zu einem Nachbarbaum umgelenkt und dort mit Grigri Plus, Nano Traxion und Umlenkrollen einen Flaschenzug gebaut, mit dem ich die 100kg leicht anheben konnte. Jedoch konnte ich schwer feststellen, ob das Gewicht immer ganz genau auf der gleichen Höhe ist, daher ist auch die Abwurfhöhe eine Variable. Bevor ich die richtigen Stürze gemacht habe, habe ich vier Teststürze in die Umlenkung gemacht (leider mit 40Hz gemessen: 4,02 kN / 4,62 kN / 4,78 kN / 7,1 kN), um die Knoten schon mal etwas zu festigen und das System zu testen. Als Seil habe ich das Edelrid Apus Pro Dry 7,9mm Halbseil im Doppelstrang genutzt. Um das Durchrutschen durch das Sicherungsgerät bzw. den Halbmastwurf nicht mit abbilden zu müssen, habe ich mich entschlossen das Seil jeweils mit einem dreifachen Spierenstich zu einem Ring zu knoten und die Variable des Sicherungsgerätes somit auszuklammern. Und das Seil habe ich immer als Ring durchgefädelt, dass möglich beide Seilstränge die Last übernehmen und nicht einer zuerst belastet wird, bevor der andere dann auch Kraft aufnimmt. Ich habe für jeden der vier Versuchsaufbauten jeweils einen eigenen Seilring genutzt, daher ist beim ersten Sturz durch die Seildehnung ein geringerer Krafteintrag zu erwarten als bei den Folgestürzen.

Eckdaten:

  • Seil: Edelrid Apus Pro Dry 7,9mm Halbseil (Doppelstrang)
  • Standplatzmaterial: Edelrid Rap Line II (altes Modell ohne Dynamik)
  • Flaschenzug-Seil: Teufelberger Resc Tech 8mm
  • Messzelle: LineGrip LineScale 3i
  • Sturzanzahl: 19
  • Sturzgewichte: 100kg Buchenholz-Stämme

Variablen:

  • Baumschwingung
  • Knoten im Seil
  • Pendeln und Schwingen von Stand, Baum und Sturzgewichten
  • Abwurfhöhe
  • Reibung und Anstoßen des Gewichts an den Baum
  • Seildehnung

Hier im Foto links meine improvisierte Auslöseeinrichtung mi einem Fifi Hook. Rechts zu sehen der geknotete Seilring und der „Standplatz“, der später mit etwas Verlängerung auch als Umlenkung diente.

Links zu sehen ist einer der beiden 100kg schweren Buchenholz-Stämme. Rechts der Aufbau mit einer Nylon-Rundschlinge als Selbstsicherungsschlinge angeschlagen am „sichernden“ Baumstamm und am Standplatz (Ringseil).

Aufbau 1: Sturz in den Stand

Es ist bekannt, dass ein Sturz direkt in den Stand schnell zu einem Faktor 2 Sturz führen kann, der einen hohen Krafteintrag auf den Stand zur Folge hat. Daher wollte ich hier vergleichen, wie es sich mit und ohne Schlappseil verhält. Denn ohne Schlappseil ist es ein annähernder Faktor 2 und mit Schlappseil ein weiterer Sturz, aber ein geringerer Sturzfaktor. Jedoch kann die Situation für den Vorsteiger so sein, dass er sich ohne Schlappseil sicherer fühlt. Um die Variable der Bremsleistung auszuklammern habe ich einen Seilring mit definierter Länge direkt in den Stand am Baum eingeknotet und nur den Stamm ins Seil fallen lassen.

1.1 Sturz in den Stand ohne Schlappseil

Mit einem Seilring von 2,20m Gesamtlänge (gemessen 3 Tage nach den Stürzen, tatsächlicher Umfang) habe ich das Gewicht so weit hochgezogen, bis kein Schlappseil mehr war. Der Kletterer war also 1,1m über dem Stand und is am Stand vorbei noch weitere 1,1m gestürzt, was insgesamt 2,2m Sturz in 1,1m Seil und somit einen Sturzfaktor 2 ergibt.
Die Stürze ergaben folgende Kraftspitzen am Stand: 8,39kN / 8,84kN / 8,41kN (Durchschnitt: 8,55kN)

1.2 Sturz in den Stand mit Schlappseil

Einen neuen Seilring mit 4,10m Länge (gemessen 3 Tage nach den Stürzen, tatsächlicher Umfang) habe ich auf die möglichst gleiche Höhe gezogen und dann mit dem entstandenen Schlappseil fallen lassen. Nun stürzte der Kletterer von 1,1m über dem Stand an dem Stand vorbei noch mal 2,05m weiter. Also insgesamt 3,15m Sturz in 2,05m Seil. Also einen Sturzfaktor von 1,54. Ich habe hier auch einige Stürze gemacht, die ersten beiden waren jedoch mit Salto, da sich das Schlappseil nur schwer so platzieren ließ, dass die Sturzmasse nicht in die Seilschlaufe fällt. 
Die anderen drei Stürze ohne Salto sind wie folgt: 8,72kN / 7,55kN / 9,70kN (Durchschnitt: 8,66kN)

Anmerkung zum Sturz in den Stand

Die geringe Differenz lässt keine abschließende Beurteilung zu. Jedoch sind knapp 9kN bei einem dünnen Halbseil im Doppelstrang doch schon hart. Vor allem wenn man beachtet, dass die Masse gerade mal etwas mehr als ein Meter über dem Stand war!

Aufbau 2: Sturz in die Zwischensicherung

Die Debatte Körper- vs. Fixpunktsicherung ist teils emotional aufgeladen und man sieht beides bei den verschiedensten Standplatzsystemen. Nun wollte ich den Krafteintrag auf den Standplatz und die Kraftspitze an der ersten Zwischensicherung messen. Leider war vor Ort dann der Akku von einer Kraftmesszelle schon leer (vermutlich vergessen auszuschalten oder zu kalt). Daher habe ich dann nur den Wert am Umlenker gemessen. Die Seilringe habe ich so abgemessen, dass der Kletterer 1,85m über die Zwischensicherung gezogen werden kann.

2.1 Vorstiegsturz bei Körpersicherung

Hierzu habe ich einen zweiten Standplatz aus Rap Line und Statikseil am Baumstamm gebaut. Dieser konnte ca. 20cm nach oben Umschlagen, an ihm hing dann der „Sicherer“ in seiner Selbstsicherungsschlinge, der ebenfalls ein 100kg schwerer Baumstamm ist. Das Sicherungsseil habe ich am Sicherer mit einem Schraubglied eingehängt, es oben durch einen HMS-Karabiner mit rundem Querschnitt umgelenkt und dann zum „Kletterer“ laufen lassen, bei dem es auch wieder mit einem Schraubglied eingehängt ist, um die Variablen der Bremshand und Reibung auszuschließen. Da das Seil vom Vorsteiger am Stand vorbei bis hin zum Sicherer geht, ist es mit einer geknoteten Länge von 3,75m etwas länger als wenn es nur bis zum Stand gehen würde. Der Sicherer wird im Sturzfall weit nach oben gezogen und rutscht bis an die Umlenkung. Das verlängert die Sturzstrecke und kann theoretisch Kraft aufnehmen. Nach dem Sturz hingen dann der Sicherer und der Kletterer oben in der Zwischensicherung und der Stand war nach dem Sturz unbelastet.
Der maximale Krafteintrag an der Zwischensicherung war: 7,09kN / 8,69kN / 7,69kN (Durchschnitt: 7,82kN).

Links sieht man den Kletterer während des Sturzes und den Sicherer im Standplatz hängen. Rechts sieht man die Situation nach dem Sturz: Der Kletterer hängt weit oben und bleibt auf der höchsten Position hängen. Die rote Linie ist die Höhe des Standes (Ringseil). Die Fotos sind von Sturz 14.

2.2 Vorstiegsturz bei Fixpunktsicherung

An dem Stand habe ich das Seil in einem Doppelten Bulin eingeknotet, in dem auch der „Sicherer“ mit seiner Selbstsicherungsschlinge hing. Da das Seil bei dem Aufbau am Stand endet und der Sicherer darunter hängt, ist mit 2,90m weniger Seil im System. Der Stand kann dennoch ca. 20cm umschlagen. Beim Sturz wurde auch hier der Sicherer nach oben gerissen, aber bei weitem nicht so weit wie bei der Körpersicherung. Also eine Sturzstrecke von 1,85m + 1,85m.
Der maximale Krafteintrag an der Zwischensicherung war: 7,39kN / 7,31kN / 8,11kN (Durchschnitt: 7,60kN)

Hier links ein Foto während des Sturzes. Rechts ist ein Moment nach dem Auffangen. Der Sicherer war kurzzeitig auch noch mal wieder oben und ist dann wieder zurück in seine Selbstsicherung gestürzt. Die grüne Transparenz zeigt die höchste Position des Sicherer. Die rote Linie ist die Höhe des Ringseils. Die Screenshots sind von Sturz 17.

Anmerkung zu Körpersicherung vs. Fixpunktsicherung

Meine Feldversuche liefern auch hier kein aussagekräftiges Ergebnis. Jedoch ist beim Beobachten der Baumstämme klar, dass es dem Sicherer bei der Fixpunktsicherung besser gehen wird als dem anderen. Wie sich der Krafteintrag auf den Standplatz auswirkt ist hier noch mal ein anderes Thema!

Alle Sturzwerte

Da ich 19 Stürze gemacht habe, hier einfach mal alle Werte mit Anmerkungen zu den Stürzen.

Sturz-Nr Krafteintrag (kN) Anmerkung
1 4,02 (40Hz) Test-Sturz, gemessen mit zu wenig Hz
2 4,62 (40Hz) Test-Sturz, gemessen mit zu wenig Hz, Stamm streift an Ecke von Baum
3 4,78 (40Hz) Sturz in Stand ohne Schlappseil, aber gemessen mit zu wenig Hz
4 7,10 (40Hz) Sturz in Stand ohne Schlappseil, aber Sturzmasse nicht weit genug oben und gemessen mit zu wenig Hz, freier Fall, bisschen Pendel
5 8,39 Sturz in Stand ohne Schlappseil, ab jetzt gemessen mit 1280Hz, freier Fall, etwas Pendel
6 8,84 Sturz in Stand ohne Schlappseil, etwas weniger Abwurfhöhe als bei S6, freier Fall, minimal Pendel
7 8,41 Sturz in Stand ohne Schlappseil, gleiche Abwurfhöhe wie S7, freier Fall, leichtes Pendel
8 ungültig
9 5,61 Sturz in Stand mit Schlappseil, aber Gewicht bleibt an Seil hängen und macht Salto
10 6,49 Sturz in Stand mit Schlappseil, aber Gewicht bleibt an Seil hängen und macht Salto
11 8,72 Sturz in Stand mit Schlappseil, freier Fall, Pendel
12 7,55 Sturz in Stand mit Schlappseil, freier Fall, Seil streift an Sturzmasse
13 9,70 Sturz in Stand mit Schlappseil, freier Fall, minimales Pendel
14 7,09 Sturz in Zwischensicherung bei Körpersicherung, freier Fall, bisschen Pendel
15 8,69 Sturz in Zwischensicherung bei Körpersicherung, freier Fall, bisschen Pendel, etwas höher als S14
16 7,69 Sturz in Zwischensicherung bei Körpersicherung
17 7,39 Sturz in Zwischensicherung bei Fixpunktsicherung, freier Fall, minimal Pendel
18 7,31 Sturz in Zwischensicherung bei Fixpunktsicherung, freier Fall, Sturzmasse dreht sich und pendelt etwas
19 8,11 Sturz in Zwischensicherung bei Fixpunktsicherung

Schlusswort

Mit diesen paar Werten lässt sich keine fundierte Aussage treffen. Um Stürze unmittelbar miteinander zu vergleichen, sind kontrolliertere Stürze in einer „Laborumgebung“ notwendig. Auch sind die unterschiede der Krafteinträge vor allem im Durchschnitt sehr gering. Dennoch festigt es zumindest einige Gedanken, wenn es um das Sichern geht.

Der Sturz in den Stand
Ich war erstaunt, wie hohe Kräfte hier schon auftreten, bei einem solch recht kleinen Sturz. Selbst das Schlappseil hat da in diesem kleinen Feldversuch kaum einen Unterschied gemacht. Nur ist die größere Sturzstrecke bei gestuftem Gelände eine potenzielle Gefahr. Beim Klettern selbst würde das durchrutschende Seil durch den Tube oder HMS dann noch etwas Kraft aufnehmen. Aber dennoch bin ich persönlich durch diesen Versuch besonders beim Stand an Eisschrauben wieder mehr von einem Standplatzaufbau mit besserer Kräfteverteilung wie z.B. der Quad-Standplatzschlinge überzeugt, um die 9kN zumindest gut zu verteilen. Wie sich der Standplatz dann beim normalen Vorstiegsturz verhält, ist wieder eine andere Sache.

Körpersicherung gegen Fixpunktsicherung
Der Krafteintrag auf die Zwischensicherung war in diesem Mini-Feldversuch zwar nahezu gleich wie bei der Fixpunksicherung, es war jedoch nahezu erschrecken wie abrupt der „Sicherer“ nach oben in die Umlenkung gerissen wurde. Der Krafteintrag auf den Standplatz wäre noch interessant gewesen, ich vermute ihn aber als recht gering, da der Sicherer beim Sturz nach oben gezogen wurde und die Selbstsicherung nach oben nicht auf Spannung kam. Je nachdem wie viele Zwischensicherungen und Seil sich hier zwischen Sicherer und Kletterer befindet wird der Krafteintrag auch noch mal geringer. 

Fazit

Letztendlich war es ein interessanter und aktiver Tag im Wald. Wissenschaftlich ist hier nicht viel. Jedoch zeigen die Kraftspitzen, was für eine Gefahr der Sturz direkt in den Stand darstellen kann. Allgemein wieder eine umfangreiche Erfahrung, wie komplex Stürze und die Bewertung von Sicherungssystemen sein kann.

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